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Das Stigma der psychischen Krankheit: Schizophrenie

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    Was ist ein Stigma?

    Ein Stigma kann definiert werden als „Klischees oder negative Ansichten, die einer Person oder einer Gruppe von Menschen zugeschrieben werden, wenn ihre Eigenschaften oder ihr Verhalten als von der gesellschaftlichen Norm abweichend oder minderwertig angesehen werden“. Psychische Erkrankungen, insbesondere Schizophrenie, sind in hohem Masse von Stigmatisierung betroffen. Menschen mit einer psychischen Erkrankung sehen sich mit einer doppelten Herausforderung konfrontiert:

    1. Sie müssen mit den Symptomen und Beeinträchtigungen umgehen, die aufgrund ihrer Krankheit auftreten.
    2. Sie sind mit Klischees und Vorurteilen konfrontiert, die auf falschen Vorstellungen über psychische Erkrankungen beruhen.
    Aufgrund dieser doppelten Herausforderung leidet häufig die Lebensqualität psychisch kranker Menschen (Selbstwertgefühl, gute Arbeitsplätze, Wohnsicherheit, zufriedenstellende Gesundheitsversorgung und Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Gruppen von Menschen).
     
    Es gibt sowohl eine öffentliche Stigmatisierung als auch eine Selbststigmatisierung: „Die öffentliche Stigmatisierung ist die Reaktion der Allgemeinbevölkerung auf Menschen mit psychischen Erkrankungen.  Selbststigmatisierung ist das Vorurteil, das Menschen mit psychischen Erkrankungen sich selbst gegenüber haben.“ In Filmen und Printmedien werden beispielsweise verschiedene falsche Vorstellungen über psychische Erkrankungen verbreitet, die zu einer öffentlichen Stigmatisierung führen:

    1. Menschen mit psychischen Erkrankungen sind furchterregend, und deshalb sollten sie aus den meisten Gemeinschaften ausgegrenzt werden.
    2. Sie haben seltsame Sichtweisen.
    3. Sie sind wie Kinder, also muss man sich um sie kümmern.
    4. Sie sind unverantwortlich, deshalb sollten andere die Lebensentscheidungen für sie treffen.
    5. Ihr schwacher Charakter ist für ihre Krankheit verantwortlich.
     
    Die Darstellung der Schizophrenie in den verschiedenen Medien kann ein falsches Bild der Krankheit zeichnen, was durch Stereotypisierung und Vorurteile weiter zur Stigmatisierung beiträgt. Ein Patient beschreibt die Erfahrung, die er macht, wenn er in Literatur und Film Figuren sieht, die Wahnsinn verkörpern (aus „Alice im Wunderland“ und „Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde“):

    „Die Charaktere des Hutmachers (die „verrückte“ Figur aus „Alice im Wunderland“), von Mr. Hyde und anderen berühmten Figuren, die von den Medien so dargestellt werden, dass sie komisch und lächerlich wirken, verstärken die Vorstellung von Wahnsinn als etwas, das für Erheiterung sorgt, oder als etwas faszinierend Gefährliches gesehen werden kann.

    Wie kann etwas, das Familien, Beziehungen und Freundschaften zerstört, als „witzig“ angesehen werden? Es ist nicht lustig, wenn man die Orientierung im Leben verliert. Es ist nicht witzig, wenn das eigene Gehirn einer Person solch üble Streiche spielt, dass sie in einen Angstzustand versetzt wird, der sogar zum Selbstmord führen kann. Ist das komisch? Vielleicht… für diejenigen, die die persönliche Erfahrung nicht kennen. Versetzen Sie sich in die Lage des Betroffenen und denken Sie um. Dann können wir vielleicht damit beginnen, die Stigmatisierung der Menschen, bei denen eine solche Erkrankung neu diagnostiziert wurde, eingehender zu erklären und zu überwinden.“


    „Was, wenn der Patient meine Mutter wäre?“

    Um die Sorgen und Nöte anderer Menschen zu verstehen, ist Einfühlungsvermögen erforderlich, das nur wenige von uns bei Menschen, die uns gleichgültig sind, stark genug empfinden. Das gilt auch bei psychisch Kranken. Bei unseren nahen Verwandten neigen wir jedoch dazu, sensibler gegenüber ihren persönlichen Problemen zu reagieren und sogar unsere eigenen zurückzustellen. Die Frage „Was, wenn der Patient meine Mutter wäre?“ kann dazu beitragen, unser eigenes Einfühlungsvermögen für die Leiden von Patienten mit Schizophrenie zu erhöhen.
     
    Das Verständnis für schizophrene Patienten und damit die Möglichkeit einer Entstigmatisierung kann durch Aufklärung erreicht werden. Verständnis kann der erste Schritt zu Akzeptanz und Toleranz sein – eine Haltung, die für die Entstigmatisierung dieser „als verrückt gebrandmarkten“ Menschen notwendig ist. Die allgemeine Bevölkerung ist in der Regel nicht auf die Begegnung mit einem Patienten vorbereitet, der körperliche oder psychische Symptome aufweist. Es werden zwar Anstrengungen unternommen, um die Öffentlichkeit über Erste-Hilfe-Massnahmen aufzuklären, die anderen Menschen bei einem Herzinfarkt, Schlaganfall, einer traumatischen Verletzung oder einer schweren allergischen Reaktion das Leben retten könnten. Dennoch können die Leute das Gelernte nur selten anwenden, und wenn, dann sind die Erfolgsaussichten sehr gering.  Wie sieht es mit der Aufklärung der Öffentlichkeit über psychische Erkrankungen aus?


    Studien zur Stigmatisierung

    Eine Studie, die verschiedene andere Studien zum Thema Stigmatisierung zusammengefasst hat, ergab, dass der Kontakt zu Menschen mit psychischen Erkrankungen der beste Weg ist, um die eigenen Einstellungen und Verhaltensabsichten ihnen gegenüber zu verbessern. An zweiter Stelle steht die Aufklärung, wenn es darum geht, Erwachsenen zu helfen, ihre Haltung gegenüber Menschen mit psychischen Erkrankungen zu verändern. Wie in einer der Studien festgestellt wurde, trägt bei Erwachsenen „das Zusammentreffen mit Menschen, die an schweren psychischen Erkrankungen leiden, mehr dazu bei, die Stigmatisierung zu hinterfragen, als die pädagogische Gegenüberstellung von Mythen und Fakten über psychische Erkrankungen“.

    Noch wichtiger ist, dass der persönliche Kontakt mit einer betroffenen Person eine grössere Wirkung hatte, als das Anschauen einer durch ein Video erzählten Geschichte.  Der persönliche Kontakt war besser für die Gesamtwirkung und die Veränderung der Einstellungen und Verhaltensabsichten. Bei Jugendlichen war jedoch die Aufklärung der wichtigste Weg, um Stigmata, Einstellungen und Verhaltensabsichten in Frage zu stellen, während der direkte Kontakt an zweiter Stelle stand. Der Unterschied zu Erwachsenen könnte darin bestehen, dass „die Überzeugungen von Jugendlichen über psychische Erkrankungen nicht so stark ausgeprägt sind wie die von Erwachsenen, und Jugendliche daher eher für Aufklärung empfänglich sind“.


    Aufklärung

    Wie sollte die Allgemeinheit darin geschult werden, psychotische Symptome zu erkennen und angemessen auf sie zu reagieren? Wie sollen die Menschen Fähigkeiten für den Umgang mit psychisch Kranken entwickeln? Solch ein pragmatisches und nützliches Wissen ist wahrscheinlich nur in einem Forschungsumfeld zu erreichen. Ausserhalb dieses Umfelds sind nicht betroffene Menschen selten motiviert, Zeit für eine Schulung aufzubringen, obwohl sie im Alltag mit grösserer Wahrscheinlichkeit Menschen mit psychischen Störungen begegnen als solchen, die eine Herz-Lungen-Wiederbelebung benötigen.
     
    Bildungsmassnahmen zur Stigmatisierungsbekämpfung sollten sachliche Informationen über die stigmatisierte Erkrankung vermitteln, um Stereotypen und Mythen entgegenzuwirken. So kann eine Aufklärungskampagne beispielsweise den Mythos widerlegen, dass psychisch Kranke gewalttätige Mörder sind, indem sie Statistiken vorlegt, die zeigen, dass diese ähnliche Mordraten aufweisen wie Menschen aus der Allgemeinbevälkerung. Es ist hilfreich, solche Stereotypen und Mythen klar zu erläutern, vor allem, wenn sie durch Statistiken untermauert werden können, damit sich die Menschen im Umgang mit Schizophreniepatienten sicher fühlen. Es gibt einige Belege dafür, dass Kampagnen zur Aufklärung über psychische Gesundheit, die in den Lehrplan aufgenommen werden, das Wissen, die Haltung und das Verhalten bei der Hilfesuche verbessern, aber „es sind weitere Untersuchungen erforderlich, bevor die Entscheidung getroffen wird, die Kampagnen zur Aufklärung über psychische Gesundheit auf nationale Ebene auszuweiten“.

    Die Evidenz zeigt auch, dass Kampagnen, die praktische Informationen über Erste-Hilfe-Massnahmen bei psychischen Problemen umfassen (persönliche Schulungen, in denen die Teilnehmer lernen, wie sie auf sich entwickelnde psychische Probleme und Krisen reagieren können), wirksam zur Verringerung der Stigmatisierung beigetragen haben. Diese Aufklärungskampagnen haben sich auch zum Ziel gesetzt, Einzelpersonen und Familien zu ermutigen, die benötigten Hilfsdienste in Anspruch zu nehmen. Das ist ein sehr wichtiges Ziel, „weil eine frühzeitige Diagnose und Behandlung die Prognose verbessert, aber eine hochwertige, kulturell informierte Behandlung nicht auf breiter Front verfügbar ist, vor allem nicht für ethnische Minderheiten“.
     
    Es hat sich gezeigt, dass pädagogische Massnahmen nicht nur die öffentliche Stigmatisierung, sondern auch die Selbststigmatisierung verringern und gleichzeitig die Stressbewältigung verbessern und das Selbstwertgefühl stärken, wenn sie im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie eingesetzt werden. Die Massnahmen zur Veränderung der öffentlichen Stigmatisierung haben bisher unterschiedliche Ergebnisse gebracht. Kampagnen, die über mehrere Jahre und über verschiedene Plattformen laufen, zeigten eine höhere Wirksamkeit als kurze Antistigma- und Aufklärungskampagnen in den Medien, wenn es darum geht, eine signifikante und dauerhafte Veränderung zu erreichen.


    Schlussfolgerung

    Stigmatisierung ist ein bedeutendes und belastendes Problem für Menschen, die mit psychischen Erkrankungen leben. Dem Stigma kann man am besten begegnen, indem man mit Personen, die mit dieser Krankheit leben, in Kontakt kommt und sich über sie informiert. Sobald die Öffentlichkeit die Krankheit besser versteht und sieht, dass Menschen mit Schizophrenie sich nach der richtigen Behandlung sehr gut in die Gesellschaft integrieren können, werden die Klischees und Vorurteile weiter abnehmen.

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